Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn von Bob Holmes – Buchbesprechung

Der Autor, Bob Holmes, ist kanadischer Journalist und Hobbykoch. Er möchte uns mit seinem Buch, »Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn«, ermuntern, dem Geschmacksinn mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Jeder kann durch Übung seine Geschmackswahrnehmung verbessern. Weinkenner werden gemacht, nicht geboren, sie haben kein spezielles Talent. Auch das Formulieren der Eindrücke ist schwierig, da wir über wenig Wörter für Geschmäcker verfügen. Dabei helfen Aroma-Räder, die es heutzutage nicht nur für Wein, sondern auch für Bier, Whisky, Kaffee und Schokolade gibt.

Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten SinnBildquelle © Riemann Verlag: Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn

Das Buch stellt viele wissenschaftliche Studien zum Thema Schmecken und Riechen vor, aber auch Versuche mit interessanten Ergebnissen, an denen der Autor selbst teilgenommen hat. Das Thema ist sehr komplex, es entstehen ständig neue Theorien, und es bleibt noch sehr viel zu erforschen. Nur ein Beispiel: früher ist man ja von vier Geschmacksrichtungen ausgegangen (süß, salzig, bitter und sauer), bis umami dazukam (herzhaft, fleischig), und heute wird die Geschmacksrichtung „fett“ diskutiert. Und die Forschungen sind noch lange nicht abgeschlossen.
Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Geschmackswelt, abhängig von genetischer Veranlagung, Erziehung, Kultur und Geschmackserfahrungen.
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Superschmeckern, Normalschmeckern und Nichtschmeckern. Superschmecker nehmen bitteren, salzigen oder süßen Geschmack viel intensiver wahr und ernähren sich deshalb oft eher einseitig und fade. Die Gene beeinflussen aber nicht zwangsläufig, was uns schmeckt und was nicht. Erfahrungen spielen eine Rolle (manches Lebensmittel schmeckt nicht gleich beim ersten Verzehr) und auch beim Essen gibt es Abenteurer und solche, die keine Überraschungen mögen.
Die Geruchsinformation ist der wichtigste Bestandteil des Geschmacks, was der folgende Test unterstreicht: mit geschlossenen Augen und zugehaltener Nase ist es gar nicht so einfach, ein Stück Apfel von einer Zwiebel zu unterscheiden. Der Geruchsinn ist noch komplexer als der Geschmacksinn. Ein süß-saurer Geschmack kann als süß und sauer wahrgenommen werden, während das Erkennen von Duftmischungen schwieriger ist.
Es ist nicht immer so, dass gut schmeckt, was gut riecht bzw. umgekehrt. Bei etwa 15 Prozent der Lebensmittel ist dies nicht der Fall, z.B. bei stinkendem Käse oder Kaffee, den manche Menschen gerne riechen, aber nicht trinken.
Auch der Tastsinn spielt eine Rolle: Es wird Hitze empfunden (bei scharfen Gerichten) oder Kühle (bei Menthol oder Eukalyptus). Warum manche Menschen gerne Chilis essen, obwohl das Gefühl unangenehm ist, ist ungeklärt. Es könnte sein, dass sie das Brennen nicht so intensiv wahrnehmen wie andere, oder dass sie einen Kick suchen wie beim Achterbahnfahren. Zum Tastsinn gehört auch die Adstringenz (pelziges Mundgefühl bei taninreichen Weinen) und die Konsistenz (Textur, Cremigkeit, Knusprigkeit).
Sogar der Hörsinn beeinflusst die Geschmackswahrnehmung. Bringles werden weniger knusprig wahrgenommen, wenn man das Krachen beim Hineinbeißen nicht hört, und Austern schmecken bei Meeresrauschen besser. Eine schwere Schale läßt Joghurt gehaltvoller erscheinen als eine leichte.
Auch der Sehsinn ist beteiligt: beim Versuch, sich den Geruch einer Erdbeere vorzustellen, sieht man fast zwangsläufig eine Erdbeere vor sich. Und auch das Aussehen des Geschirrs kann sich auf die Geschmackswahrnehmung auswirken.
Das Design von Geschmackstoffen ist eine Wissenschaft, aber auch ein Industriezweig. Lebensmittelproduzenten möchten, dass ihre Produkte immer gleich schmecken, daher benötigen sie Geschmackstoffe und können sich nicht auf die Natur verlassen. Flavoristen beschäftigen sich mit der Entwicklung von Aromen für Lebensmittel . Die einzelnen Bestandteile eines Geschmackstoffes können ganz anders schmecken, als ihre Summe. Ein kleiner Anteil eines widerwärtigen Geschmacks kann den Gesamtgeschmack interessant machen.

Eine Frage, zu der es viele Studien, aber (noch) keine zufriedenstellende Antwort gibt, ist die nach dem Zusammenhang zwischen Geschmack und Übergewicht. Wir essen normalerweise nicht weniger, wenn das Essen weniger gut schmeckt.

Mein Fazit: ein spannendes Buch mit vielen Informationen!
Leseprobe

Bob Holmes:
Geschmack: Gebrauchsanleitung für einen vernachlässigten Sinn
Riemann Verlag, München 2016

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